Ortsbestimmung durch die antike Überlieferung

Jeder der einzelnen antiken Autoren, der uns von den damaligen Geschehnissen in Germanien erzählt hat, war natürlich bestrebt die von ihm beschriebene Begebenheit seinen Lesern, in seiner römischen Betrachtungsweise zu übermitteln. So wundert es nicht, dass diese Schilderungen grundsätzlich von dem Versuch geprägt sind die Schuld an dem Versagen in der Germanenpolitik einzelnen in bestimmten Situationen versagenden Menschen zuzuschreiben, und nicht dem römischen Staatssystem im Allgemeinen. Des weiteren hat jeder der Geschichtsschreiber für sich das von ihm Erzählte aus seiner persönlichen Sichtweise, so wie es ihm für die Zeit in der er es aufzeichnete, und die Intention die er dabei verfolgte niedergeschrieben. So liegen auch zwischen dem Zeitpunkt der Varusschlacht und der letzten Aufzeichnung über dieses römische Debakel immerhin über zweihundert Jahre Zeitunterschied. Diese Umstände erklären einen Grund für diese teilweise großen sächlichen Differenzen in den einzelnen Aussagen.

Zudem muss man betrachten, dass diese verheerende Niederlage dreier kampferprobter Legionen, in einer durch Unruhen gegen die Römer geprägten Zeit, eine nicht zu unterschätzende politische Sprengkraft gehabt haben konnte. Die Reaktion des Augustus, auf die Nachricht des Untergangs seiner Elitelegionen, dass er seinen Kopf gegen einen Türpfosten geschlagen haben soll, und sein Ausspruch: "Varus, Varus, gib mir meine Legionen wieder", zeugen für eine durchdringende Erschütterung des römischen Machtapparates. Pannonien und Dalmatien waren zwar gerade besiegt worden, aber dieser Krieg hatte dem römischen Imperium eine enorme Kraftanstrengung abverlangt. Nun bestand die Gefahr, dass sich in Germanien eine erneute Front auftat, die zu einer Kettenreaktion von Aufständen an den Grenzen zum römischen Reich führen konnte. Wie sehr diese Niederlage der Römer die inneren Strukturen erschütterte, zeigen verschiedene Aktionen die nach diesem Ereignis von Augustus durchgeführt wurden. So wurde es den Überlebenden der Varusschlacht nicht gestattet jemals wieder italienischen Boden zu betreten, die germanische Leibwache des Kaisers wurde entlassen, und die XVII, XVIII und XIX Legion wurden nicht wieder aufgestellt.

Lokalisierung durch Paterculus

Lokalisierung durch Tacitus

Lokalisierung durch Strabo

Lokalisierung durch Florus

Lokalisierung durch Sueton

Lokalisierung durch Cassius Dio

Das topographische Gelände der Varusschlacht

Die drei Legionsadler

Fazit der Lokalisierungsversuche

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Diese Reaktionen waren sicherlich nur ein Teil der Maßnahmen die unternommen wurden um diesem Ereignis entgegen zu wirken. So galt es bestimmt auch für die Schreiber jener Zeit, diese Niederlage, die nicht zu unterschlagen war, zumindest nicht in nicht allzu detaillierten und dramatischen Worten zu schildern. Denn eine ausführliche Beschreibung der Varusschlacht, in ihrem ganzen Verlauf und in seiner ganzen verhängnisvollen Dramatik, hätte sicherlich eine demoralisierende Wirkung auf die Römer, und eine moralisierende Wirkung auf ihre Gegner gehabt. So kann man, was die Berichterstattung zur Varusschlacht angeht, von einer frühen Form der Zensur ausgehen, welche in ihrer Folge Informationsmangel zu diesem Geschehen hatte. Diesem Missstand eines nicht vorhandenen detaillierten Schlachtberichtes mussten sich alle späteren römischen Geschichtsschreiber zwangsläufig unterwerfen, worauf das Fehlen von genaueren Beschreibungen des einstmaligen Ablaufes zurückzuführen ist.

Verteilung der Beute nach der Varusschlacht

In diesem Zusammenhang sind die Aussagen vom Geschichtsschreiber Frontinius auch in einem anderen Licht zu sehen. Frontinius erwähnt in seiner Strategema nur Geschehnisse die im Zusammenhang mit der Belagerung des Kastells Aliso stehen. Das ist in soweit bemerkenswert, als dass dieser Autor in diesem Werk alle Arten verschiedenster Kriegslisten erörtert, die in irgendeiner Weise von den Römern, oder gegen sie angewandt worden sind. Der Hinterhalt, der von Arminius und seinen Verbündeten gegen die Römer angewandt wurde, nötigt ihn jedoch keine Zeile ab. Das lässt im Grunde nur zwei Rückschlüsse zu. Zum einen, dass dieser Hinterhalt nicht so außergewöhnlich und genial war als dass er eine Würdigung verdiente (was nach Lage der Dinge unwahrscheinlich scheint), oder er hatte gleichfalls keine Möglichkeit, sich durch verwertbare Aufzeichnungen über den genauen Hergang des Schlachtverlaufes zu informieren. Erst Cassius Dio schreibt etwa zweihundert Jahre nach der Niederlage einen detailreichen Schlachtbericht, der sich in vielen Belangen von den Beschreibungen der andern Geschichtsschreiber unterscheidet. Es scheint als hätte dieser Mangel an wahrheitsgemäßen Schlachtberichten von Zeitzeugen der Varusschlacht, Dio die Gelegenheit gegeben seiner Phantasie freien Lauf zu lassen.     

Durch diese unsichere Quellenlage ist es unmöglich alle histographischen Schriftsteller gemeinsam im Verhältnis „eins zu eins“ zu übernehmen, um so zum wahren Ort der Varusschlacht zu gelangen. Denn die antiken Autoren widersprechen sich oftmals zu sehr in ihren einzelnen Abschätzungen über den Ablauf des Geschehens und in ihren Beschreibungen der gesuchten Örtlichkeiten. So kann die gleichzeitige Zuhilfenahme aller bekannten Darstellungen über dieses Ereignis nicht der richtige Weg sein, um an das erstrebte Ziel der Aufklärung dieser längst vergangenen Zeit zu gelangen. Auf diese Art den Versuch zu unternehmen die damaligen Ereignisse aufzuklären würde zwangsläufig bedeuten, dass immer wieder einige Aussagen in den einzelnen Überlieferungen unterschlagen oder zurechtgebogen werden müssen, um ein annehmbares und bestimmtes Ergebnis zu erreichen. Über diesen Weg sind bisher die meisten Historiker zur Schlachtortsuche gegangen, mit dem Erfolg einer fast unübersehbaren Fülle von angeblichen Schlachtfeldern, Angrivarierwällen, Grabhügeln und Römerlagern, wobei bisher keine dieser Theorien ein in sich schlüssiges Resultat aufweisen kann. Trotzdem muss irgendwo, bei grundsätzlich aller Vorsicht im Bezug auf Quellenlagen, in den vielfältigen historischen Überlieferungen ein Schlüssel zur Wahrheitsfindung liegen. Um diesen Schlüssel doch zu entdecken muss zuvor die Glaubwürdigkeit der einzelnen Autoren überprüft werden. Dabei sind die Behauptungen von den am unglaubwürdigsten scheinenden Berichterstattern zunächst in ihrer Gesamtheit auszugrenzen, um nicht durch  Fehlinformationen in ihren Aussagen auf falsche Fährten geleitet zu werden. Sie werden nur in Ausnahmefällen zur Wahrheitsfindung herangezogen.

Nach dieser Beurteilung sind die überzeugendsten und zugleich gehaltvollsten Aufzeichnungen die uns über die Zusammenhänge mit der Varusschlacht berichten und uns gleichzeitig verwertbare Ortsangaben überlassen, die des Velleius Paterculus und Cornelius Tacitus. Diese beiden Verfasser lassen sich bei den Darstellungen der Handlungsabläufe fast deckungsgleich überlagern und ergänzen sich gegenseitig bei ihren Ortsbeschreibungen. Zwar widersprechen sie sich grundlegend, wenn es um die politische Charakterisierung von Tiberius als Heerführer und Caesar geht, aber dieser Unterschied verhindert nicht den relativen Wahrheitsgehalt über die Vorgänge im Inneren Germaniens. So gilt Paterculus als Lobredner des Prinzipats und als der Schmeichler des Tiberius. Die Motivation zu diesem Verhalten liegt wohl darin, dass er zur Regierungszeit des Tiberius seine Historia Romana verfasste und sich aus Rücksichtnahme gegenüber seines eigenen Leib und Lebens keine zu harsche Kritik am System oder Prinzipat erlauben konnte. Im Gegensatz dazu, ist aus den Annalen von Tacitus, die mehr als einhundert Jahre nach den Geschehnissen abgefasst wurde und damit genügend Abstand zur seinerzeitigen Machtstruktur erlaubte, eine tiefe Abneigung zum Caesar Tiberius herauszulesen. Unabhängig von den persönlichen politischen Bewertungen der Ereignisse, sind beide Aussagen als am authentischsten zu betrachten wenn es um die Lokalisierung der gesuchten Örtlichkeiten und den Ablauf des einstmaligen Geschehens geht.

Zum einen war Velleius Paterculus ein Zeitzeuge der Varusschlacht und stand noch unter dem Eindruck des Geschehens das zu der Zeit seiner Niederschrift noch keine Möglichkeit zuließ es übermäßig zu idealisieren oder zu verfälschen. Da dieses für Rom schreckliche Ereignis noch in den Köpfen seiner Landsleute gegenwärtig war, konnte Paterculus die Tatsachen nicht verdrehen. Zum anderen gilt er gleichzeitig als ein Teilnehmer der Tiberiusfeldzüge in Germanien, und war infolgedessen jemand der die geographischen Gegebenheiten und die ethnischen Unterschiede zu den Germanen in diesem Landstrich kannte und sie so aus erster Hand seinen Lesern wiedergeben konnte.

Ähnliche Voraussetzungen gelten für die Schriften von Cornelius Tacitus. Obwohl ihm beispielsweise Theodor Mommsen die Eignung zum Geschichtsschreiber aberkannte, muss man in Tacitus den Berichterstatter sehen der uns als glaubhafter Gewährsmann zu den gesuchten Örtlichkeiten führen kann. Etwa einhundert Jahre nach der Clades Variana schreibt er in seinen Annalen zwar nicht direkt über die Varusschlacht selbst, aber recht ausführlich über die Jahre 14/15 und 16 n. Chr., während denen Germanicus mehrere große Feldzüge gegen die Germanen führte. Unter anderem suchte der römische Feldherr während dieser Unternehmungen auch das Schlachtfeld der unter Varus vernichteten Legionen auf.

Vor allem die Tatsache, dass Tacitus einige Zeit vor der Niederschrift der Annalen die Germania zu Papier bringt, worin er sehr ausführlich und offenkundig gut recherchiert über den Lebensraum und die Gewohnheiten der Germanen berichtet, machen ihn gleichfalls zu einem Kronzeugen erster Klasse. Tacitus wusste wovon er schrieb wenn er Ortsbezeichnungen abgab und Gegenden darstellte. Auch sind seine relativ sachlichen Schilderungen der Abläufe um die Germanicusfeldzüge ein Indiz für einen ausreichenden Wahrheitsgehalt in seinen Ausführungen. Seine Quellen bezog er aus den uns nicht überlieferten Berichten des Aufidius Bassus und Plinius dem Älteren, der die Geschichte der Germanenkriege in zwanzig Büchern verfasste. Ihm als Senator waren auch Senatsprotokolle zugänglich und er benutzte sie auch für seine Recherche, so dass man durchaus seine Informationsgrundlage gleichfalls als aus „erster Hand“ bezeichnen kann. Auch dadurch dass er auch germanische Sichtweisen und Verhaltensmuster ausführlich darstellt, lässt auf eine gewisse Objektivität in seinen Ausführungen schließen. Aber gerade die Ausführungen des Tacitus wurden, wenn es vielen Varusschlachtsuchern darum ging ihre eigene Schlachtorttheorie aufzustellen, aufgrund ihrer präzisen und damit eindeutigen Aussagen verbogen und teilweise unterschlagen und, was nicht genug ist, oftmals sogar seine Glaubwürdigkeit abgesprochen.

 

 

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