Beurteilung der Funde von Kalkriese

 

Diese vorgenannten Fakten allein sind eigentlich schon Grund genug die Kalkriesetheorie abzulehnen, aber es gibt noch einige andere gewichtige Unstimmigkeiten für eine Varusschlacht in Kalkriese, auf die es einzugehen lohnt. Für die Anhänger dieser Theorie ist ein entscheidend wichtiger Beweis, für ihre Sicht der Geschehnisse der Varusschlacht, das Prägedatum der bisher gefundenen römischen Münzen. Von den bei den Ausgrabungen in der Niewedder Senke gefundenen Fundmünzen ist keine nach dem Jahr 9 geprägt worden, und einige tragen den Gegenstempel VAR, was vielfach von Experten als eine damalige Kontermarkierung des Varus angesehen wird. Dieses Fundspektrum bedeutet nur mit Sicherheit, dass einige dieser Münzen, aufgrund ihres Prägedatums, nicht vor dem Jahr 9 in den Erdboden gelangt sein können. Grundsätzlich ist es durchaus im Bereich des möglichen, dass dieses Geld in dieser Zusammenstellung, auch noch einige Jahre später für die Legionäre des Germanicus, das normale Zahlungsmittel in Germanien war, und daher der Augenblick des Bodeneintrages dieser Münzen auch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen konnte.

Ein weiteres Argument der Kalkrieseausgräber ist die große Zahl der Hortfunde im Gebiet des vermeintlichen Kampfortes. Von den 15 angenommenen Hortfunden, bei denen es sich um größere Mengen verschiedenster, vorwiegend römischer Münzen handelt, sind 7 in der jüngeren Vergangenheit ergraben und ausführlich dokumentiert worden. Die Erklärungen der beteiligten Archäologen über das Zustandekommen dieser Münzhorte lauten, dass einige römische Legionäre ihr Geld vor den angreifenden Germanen, bis nach den kämpferischen Auseinandersetzungen verstecken wollten. Diese Annahme darf gerne bezweifelt werden. Denn es ist kaum nachzuvollziehen, dass sich ein Legionär in höchster Not, während der dauernden Kampfhandlungen von seiner Truppe entfernte, und seinen Sold vergrub, denn dieses Versteck, wenn es seinen Zweck erfüllen sollte, musste ja vor seinen Kameraden und den Germanen verborgen bleiben. Auch konnte dieser Legionär nicht davon ausgehen, dass er jemals an diesem Ort zurückkehren würde, denn sein Schicksal, und wo es ihn hinführt, war zum Zeitpunkt dieser Vernichtungsschlacht äußerst ungewiss. Sollten diese Münzhorte von Römern angelegt worden sein, dann kann das nur in einem Moment der Ruhe und Abgeschiedenheit für diesen römischen Soldaten geschehen sein, für die ihm die Varusschlacht sicherlich keine Gelegenheit bot.

Weiterhin gibt ein anderes bemerkenswertes Detail welches einen weiteren Grund liefert um die Kalkriese = Varusschlachttheorie abzulehnen. Unter den Fundstücken der Ausgrabungen in der Niewedder Senke befindet sich ein römisches Mundblech einer Schwertscheide welches auf seiner Rückseite eine eingeritzte Gravur hat. Bei dieser Gravur handelt es sich um die Inschrift LPA, die als Abkürzung für Legio Prima Augusta steht. Diese I. Legion Germania war aber erst in den Jahren 14 - 16 unter Germanicus in die Germanenkriege verwickelt.

 

Varusmuenzen

Mit VAR kontermarkierte Münzen
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Grundsätzliche Widersprüche

Widersprüche zur Quellenlage

Die Erdwälle in der Niewedder Senke

Die Knochengruben

Was geschah in Kalkriese?

 Fazit

Die Tatsache das es in Kalkriese, von einem germanischen Reitersporn abgesehen, keine Funde gibt die auf die Anwesenheit von germanischen Kriegern an diesem Ort sprechen ist ein weiteres Indiz gegen diese Theorie einer Varusschlacht. 

Würde man die schriftlichen Quellen gänzlich außer Acht lassen und nur den archäologischen Befund in Kalkriese werten, dann käme man derzeit zu der Schlussfolgerung, dass hier römische Legionäre gegen ihresgleichen gekämpft haben müssen. Da wir aber schriftliche Überlieferungen über die römischen Germanenkriege kennen und uns das einstmalige Geschehen in groben Zügen rekonstruieren können, ist es äußerst Unwahrscheinlich dass sich die Römer an diesem Ort gegenseitig die Köpfe eingeschlagen haben. Aber der Befund steht. Ausschließlich dem einen Reitersporn abgesehen römische Fundstücke. Dieses Ausgrabungsergebnis kann eigentlich nur den Rückschluss zulassen, dass hier zwei Heere mit identischer Bewaffnung und Ausrüstung aufeinander getroffen sind.

Die Streitmacht des Arminius vor der Varusschlacht benutzte sicherlich zum überwiegenden Teil ihre, im Gegensatz zur römischen Ausrüstung, minderwertigere traditionelle Bewaffnung. Sollte es sich bei Kalkriese um den Ort der Varusschlacht handeln, dann müssten sich auch massenweise Kleinteile dieser germanischen Ausstattung im Grabungshorizont wieder finden. Das trifft in Kalkriese nicht zu.

Nach der Varusschlacht fielen den Germanen unvorstellbare Mengen römischer Waffen und Rüstungen in die Hände. Ein einfacher germanischer Krieger wird bestimmt seine Ausstattung mit den römischen Beutestücken ergänzt haben, wenn er sie nicht gar gänzlich ersetzt hat. Erst nach der Clades Variana war es möglich dass sich dem römischen Heer ein germanisches Heer mit vorwiegend römischer Ausrüstung entgegenstellte.

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Münzfunde von Kalkriese: 9 n.Chr. oder doch später?

Gastbeitrag von Jackson Shaw

Eine Webseite der Universität Osnabrück, Münzfunde in Kalkriese,  benutzt die in Kalkriese gefundenen unter Augustus geprägten Münzen als Hauptmittel zur Erhärtung der These, dass Kalkriese die Örtlichkeit der clades variana sei:

Das Fehlen der 13 n.Chr. neu einsetzenden Gold- und Silberprägungen und der 10 n.Chr. wieder beginnenden Kupferprägungen sowie die geringe Zahl der erst nach 9 n.Chr. an Rhein und Donau in größeren Mengen auftretenden in Rom geprägten Münzmeisterstücke weist eindeutig darauf hin, daß in Kalkriese nach 9 n.Chr. keine römische Münze mehr in den Boden gekommen ist.

Ungeachtet der zweifelhaften chronologischen Aussagekraft der Funde als unanfechtbares Beweismaterial in diesem Zusammenhang, weisen die dort bisher gefundenen Gegenstände insgesamt auf ein Gefecht zwischen Römern und Germanen hin, das eher als die zweite Schlacht des Germanicus gegen Arminius 16 n.Chr. anzusehen wäre.

Ein kleiner auf der Webseite Münzfunde in Kalkriese aus dem Jahr 1993 stammender und abgebildeter Fundhort muss notdürftig als Ausgangspunkt für diese skizzenhafte Bewertung dienen, selbst wenn mittlerweile noch viele weitere Münzen in Kalkriese gefunden worden sind. Mangels konkreterer allgemein zugänglicher Angaben über den genauen Typus der inzwischen gefundenen Münzen, muss angenommen werden, dass, besonders wegen der Langlebigkeit der Webseite, dieser Hort etwa repräsentativ für die Zusammensetzung der gesamten geborgenen Müzfunde aus Edelmetall geblieben ist.

Der Hort besteht aus 4 unter Augustus geprägten Denaren vom Typus Gaius/Lucius und einem Aureus vom gleichen Typus. Die restlichen von den insgesamt 19 Münzen bilden 11 republikanische Denare und 3 republikanische Silberquinare. Die Zusammensetzung des Hortes ist das, was man in einem aus Edelmetall bestehenden wohl zusammengewürfelten Münzfund aus der spätaugusteischen Zeit in dieser Lokalität zu erwarten hätte. Zumindest bietet sie keine Überraschungen. Auffallend jedoch ist der Denar vom Typus Gaius/Lucius, der allein in diesem Hort die ganze sehr umfangreiche augusteische Silberprägung vertritt. Dieser Typus, Gold und Silber, macht 21% des Hortes aus; 22% der insgesamt bis August 2000 in Kalkriese und Umgebung 1408 gefundenen Silbermünzen.

Der Denar weist folgende Legenden auf: Av: CAESAR AVGVSTVS DIVI F(ilivs) PATER PATRIAE und Rs: C(aivs) L(vcivs) CAESARES AVGVSTI F(ilii) COS (consvles) DESIG(nati) PRIN(cipes) IVVENT(vtis). Fünf Varianten dieser Münze sind bekannt (RIC 207, 208, 210-212), die sich auf Grund der Positionierung von Lituus und Simpulum, sowie eines gelegentlichen X im Feld (veraltetes Zeichen für denarius = 10 asses), auf dem Revers unterscheiden. Eine genaue Datierung mittels der Legenden oder eines nachvollziehbaren konsequenten Wandels des Stils, bzw. der altersbedingten Darstellung des Augustus ist weder für die Gesamtausgabe noch für die einzelnen Varianten möglich.

Die Prägejahre von diesem Münztypus werden seit langer Zeit, aber nicht immer einstimmig mit 2 v.Chr. bis 4 n.Chr. angegeben, wobei der Prägeanfang unumstritten geblieben ist. Zur Festlegung des letzten Prägejahrs wurde wahrscheinlich ursprünglich angenommen, dass die Ausgabe mit dem Tod des Gaius 4 n.Chr. aufhörte. Das Ableben des Lucius schon 2 n.Chr. hat trotzdem die Münzstätte in Lugdunum keineswegs davon abgehalten, die Ausgabe dieses Münztypus einzustellen. Dieser Einwand gilt auch für die neuerdings verbreitete These, die Münze könne nicht später als 1 n.Chr. geprägt worden sein, weil Gaius in diesem Jahr Konsul wurde und daher kein "designierter Konsul" mehr war, wie auf der Münze bezeichnet. Wie dürftig diese Behauptung dafür ist, dass solche formalen Komplexitäten die pragmatische Denkweise der Römer beim fortgesetzten Umlauf von 'unkorrekten Münzen' störten, beweist die lange weitere Umlaufzeit von Münzen, deren Prägeherr mit einer damnatio memoriae vom Senat belegt worden war (Nero z.B.).

In Roman Imperial Coins in the British Museum (1923/1965) wird das letzte Prägejahr für diesen Denar und für den identischen Aureus mit 11 n.Chr. angegeben. Immer häufiger wird jedoch das letzte geschätzte Prägejahr des Denars mit dem vorletzten oder sogar mit dem letzten Regierungsjahr des Augustus, 14 n.Chr., angegeben. Weil mit der Verlegung der Edelmetallausgabe 12 v.Chr. nach Lugdunum praktisch die ganze Last der kaiserlichen Goldprägung auf die dortige Münzstätte fiel, ist auch die Fortsetzung der Ausgabe des Aureus vom Typus Gaius/Lucius bis 13/14 n.Chr. anzunehmen.

Das späteste Prägedatum der beiden auf der Webseite groß abgebildeten Exemplare des Denars vom Typus Gaius/Lucius (Rs: Simpulum links, Lituus rechts 'b9') wird unter den Abbildungen mit 1 n.Chr. angegeben. Im Begleittext steht daneben vollkommen richtig, aber im Nachinhein widersprüchlich und absonderlich über diesen Münztypus: "Mit diesen Denaren wurden während des Illyrischen Aufstandes und der Germanenkriege die römischen Soldaten bezahlt. Sie wurden von 2 v.Chr. bis ca. 13/14 n.Chr. ausgegeben."

Der beschriebene Denar kommt heute noch dermaßen häufig vor, dass sich dessen Prägung, wenn man allein die physischen Kapazitäten der Münzstätte in Lugdunum in Betracht zieht,  über viele, viele Jahre erstreckt haben muss und sich nicht auf die Jahre 2 v.Chr. bis 1 n.Chr. beschränkt haben kann. Die mannigfaltige und motivreiche Serie von augusteischen denarii sollte den Kaiser und seine Taten dokumentieren. Keine Ausgabe in der Serie, nach deren heutiger Häufigkeit zu urteilen, ist jedoch in annähernd so ungeheuren Mengen geprägt worden wie der Typus Gaius/Lucius. Wenn das Schlachtfeld in Kalkriese auf 16 n.Chr. datiert werden sollte, würde dies auch für die in Kalkriese fehlenden letzten in Lugdunum geprägten Denartypen des Augustus (gleicher Avers wie der Typus Gaius/Lucius; Rs: die sitzende Livia oder Pax [RIC 220], Quadriga [RIC 222], und Tiberius mit barem Kopf [RIC 226]) gelten.

Nachdem Varus zwischen ca. 9/8 v. Chr. als proconsul provinciae Africae und 5/4 v. Chr. als legatus Augusti pro praetore provinciae Syriae fast kontinuierlich im hohen Amt war, bevor er 7 n.Chr. seine letzte Aufgabe als legatus Augusti pro praetore in Germanien übernahm, ist es nicht verwunderlich, dass Porträtmünzen von ihm aus Syrien und Nordafrika, sowie asses mit seinem angeblichen Gegenstempel VAR, so verbreitet im ehemaligen Reichsgebiet gefunden worden sind. Obwohl neuerdings wiederholt erhebliche Zweifel aufgekommen sind, welche die bisherige Deutung des Gegenstempels VAR in Frage stellen, gilt seit geraumer Zeit dieser Gegenstempel als der des Varus. Mit Ausnahme eines 7 v.Chr. vom Münzmeister P. Lurius Agrippa in Rom ausgegebenen Asses (RIC 428) erscheint dieser Gegenstempel nur auf mutmaßlich frühen Ausgaben des Asses vom Altar-Typus Lugdunum I (RIC 230).

Zu dieser Thematik ist auf der Webseite http://www.romancoins.info/CMK-Varus-Debate.html Folgendes zum Gegenstempel VAR zu lesen:

 "VAR" was proposed for many decades to stand for P Quinctilius Varus. A coin in the municipal museum of Rennes with "VAR" applied over the Tiberian "TIB AVC" makes this hypothesis very unlikely, if not impossible (R.Martini 2001, CAESAR AUGUSTUS in Glaux special series, ENNERE, Milano). "VAR" is, by the way, applied later than the "large wheel", "IMP", and "CVAL", but before or simultaneously to "AVC". "VAR" is relatively common with maybe up to 500-1000 pieces known, and geographically spread over a very wide area: from Gallia to the Rhine and even into the Danube area. Surprising, as Varus was under the damnatio memoriae.

A second example was recently brought to our attention. "VAR" overstrikes "TIB" square. "TIB" square (Pangerl Collection CMK 50)  is a Tiberian countermark. Published in R. Martini, Collezione Pangerl, Nomismata 6, 2003, pp xlix-li. This makes the Varus hypothesis very unlikely, if not impossible.

 

Auch wenn VAR nicht einem tatsächlichen Gegenstempel des Varus entsprach, hätte eine inoffizielle, nicht vom Senat ausgesprochene damnatio memoriae genügt, um die weitere Nutzung des plötzlich empfindlich unangenehm an Varus erinnernden Gegenstempels, je nach Bedeutung der tatsächlichen Abkürzung, fast völlig zu unterbinden, selbst wenn damit nicht beabsichtigt war, die schon im Umlauf befindlichen Münzen mit Gegenstempel einzuziehen oder weiter an das Militär auszuzahlen.

Und weiter zum angeblichen Gegenstempel von C. Numonius Vala, Kavalleriepräfekt von Varus:

 This attribution of "C VAL" to Numonius Vala is however not based on solid evidence. On coins with both "VAR" and "CVAL" countermarks "CVAL" has been applied before "VAR", and of course, "VAR" is not likely for Varus either.

 http://home.scarlet.be/~tsd05226/CMK-Lugdunum-Aug.html "Caesar valeat" could be a more likely meaning.

Zur Debatte um VAR als Gegenstempel von Varus wird dieser Ratschlag erteilt:

 In summary, it seems best to remain neutral with regard to the attribution of "VAR" to Varus. There seems to be a lot of wishful thinking and financial interests involved.

Asses mit dem Gegenstempel VAR können u.a. Teil des Soldes der in Germania inferior stationierten Legionäre zwischen 6 und 9 n.Chr., als die Münzen vermutlich mit dem Gegenstempel gekennzeichnet wurden, gewesen und vom Militärpersonal in bspw. Vetera ausgegeben worden sein. Da sie im Umlauf und anscheinend noch allgemein gültig waren, hätten Legionäre des Germanicus 15/16 n.Chr. die selben Münzen ebenso gut als Wechselgeld in die Hand bekommen können. Während des verhängnisvollen Feldzugs des Varus wurden die Kassen der XVII., XVIII. und XIX. Legion aller Wahrscheinlichkeit nach sicherheitshalber in Vetera und das meiste Geld im Beutel des Legionärs gewiss bei den signiferi deponiert. Asses mit dem Gegenstempel VAR aus diesen ehemaligen Kassen können gleichfalls an Legionäre der nachfolgenden Legionen des Germanicus ausbezahlt worden sein. Die in Kalkriese gefundenen Münzen mit dem Gegenstempel VAR können daher so gut 9 als auch 16 n.Chr. verloren gegangen sein.

Von den 627 bis August 2000 in Kalkriese und Umgebung gefundenen asses, sind 93% vom Typus Lugdunum I. Von diesen sind 96% mit dem Gegenstempel IMP (Imperator) gekennzeichnet; etwa 20 Exemplare mit dem Gegenstempel AUC (Augustus), VAR oder CVAL. Dass asses nur 45% der gesamten gefundenen Münzen ausmachen, macht manche Forscher stutzig, weil man hier überwiegend mit dem verlorenen Geld gemeiner Legionäre zu tun haben müsste. Andere wiederum erachten die hohe Zahl der gefundenen Münzen als ungewöhnlich, weil beide Germanen und Römer (Germanicus) in aller Ruhe das Schlachtfeld nach Wertgegenständen absuchen konnten. Schliesslich jedoch würden alle bis August 2000 gefundenen Münzen nur dazu reichen, den Jahressold (ohne Abzüge) von 6 Legionären zu bezahlen. Der relativ niedrige Prozentsatz von asses kann trotz der besonderen Beschaffenheit des Fundorts durchaus dem im frühen Kaiserreich herrschenden Mangel an Kleingeld zugeschrieben werden.

Womit hat der Legionär z.B. seine paar Becher Wein ausserhalb des Lagers bezahlt? Mehr als ein Quadrans oder höchstens ein Semis werden sie wohl nicht gekostet haben. Wegen des Bedarfs an asses, semisses und quadrantes hingen möglicher Weise wenigstens einige Gegenstempel mit einer Art Kreditsystem zusammen, das Legionären, denen zu wenig Kleingeld zur Verfügung stand, ermöglichte, ihre Ausgaben innerhalb eines bestimmten Geltungsbereichs des Gegenstempels reibungslos zu tätigen. Weil donativa eigentlich vom Kaiser vergeben und in denarii ausgezahlt wurden, ist es nicht wahrscheinlich, dass asses mit dem Gegenstempel VAR zu einem donativum des Varus gehörten.

Angesichts dieses Mangels im Allgemeinen und des Bedarfs des Militärs speziell befindet sich die postulierte Einstellung der Ausgabe von sestertii und asses von Lugdunum I (Av: CAESAR PONT MAX) ca. 6 n.Chr. und die Wiederaufnahme der Kupferprägung erst 8/9 n.Chr. mit u.a. Lugdunum II überhaupt nicht im Einklang mit der dringenden Nachfrage. Lugdunum II besteht aus sestertii, dupondii, semisses und asses von dem selben Altar-Typus wie Lugdunum I für Augustus (Av: CAESAR AVGVSTVS DIVI F PATER PATRIAE). und für Tiberius als Caesar (Av: TI CAESAR AVGVSTI F IMPERAT[OR] V). Der Beginn der Prägung von Lugdunum I vor der feierlichen, sakralen Einweihung des Roma und Augustus gewidmeten Altars der drei Gallien durch Nero Claudius Drusus am 1. August 10 v.Chr. (zufällig am Geburtstag des Kaisers Claudius: Sueton: Claudius, 2) ist unwahrscheinlich. Der zunehmend barbarisierte Stil und die nachlässige Prägung der überwältigenden Mehrheit dieser Stücke sind auf die Hast zurückzuführen, mit welcher diese Münzen in so riesigen Mengen ausgestoßen werden mussten. Deshalb liegt es vielmehr im Bereich des gut Vorstellbaren, dass die Ausgabe von Lugdunum I nie unterbrochen und sogar, wenn auch in etwas vermindertem Umfang, gleichzeitig und parallel zu Lugdunum II bis 13/14 n.Chr. fortgesetzt wurde. Die Universität Erlangen gibt die Prägedaten des Exemplars von Lugdunum I in ihrer Sammlung (Julisch-claudische Zeit, Nr. 311) mit 2 v.Chr. bis 14 n.Chr. an.

Das Fehlen in Kalkriese von den viel kürzer, aber generell sorgfältiger, z.T eindrucksvoll geprägten und heute sehr selten anzutreffenden Nominalen von Lugdunum II ist, wenn man die dortige Kampfhandlung auf 16 n.Chr. festlegen will, womöglich auf eine einfache verteilungstechnische Ursache zurückzuführen. Die erste Priorität bei der Verteilung dieser vier Nominale umfassenden Kupferausgabe kann der Präsentation des Tiberius als Caesar und der Deckung des zivilen Kleinmünzbedarfs gegolten haben. Die Münzstätte in Lugdunum wurde 15 v.Chr. eingerichtet, um primär, aber nicht ausschließlich den Bedarf des Militärs zu decken. Das Militär in Germania inferior könnte weiterhin mit der bis 13/14 n.Chr. fortgesetzten und eingeschränkten doch ausreichenden Prägung der asses von Lugdunum I mit besoldet worden sein. Es fehlen in Kalkriese zwischen 15 v.Chr. und 6 n.Chr. in Lugdunum geprägte aurei und denarii, ausser dem Typus Gaius/Lucius, sowie quinarii aurei und jeweils ein semis und ein quadrans, die man in solchen Funden zwangsläufig erwarten dürfte. Schließlich ist von den weit über 100 Denartypen des Augustus, die noch vor der offiziellen Entstehung des Prinzipats 27 v.Chr. und bis 6. n.Chr. geprägt wurden und die sich wenigstens theoretisch in den Kalkrieser Münzfunden hätten befinden können, nur der Typus Gaius/Lucius gefunden worden.

Diese einseitige Zusammensetzung der kaiserlichen Prägungen in den Münzfunden widerspiegelt eindeutig die amtlich gesteuerte Verteilungspolitik der Münzstätte in Lugdunum hinsichtlich der Besoldung des Militärs, und nicht die Häufigkeit einzelner Ausgaben im sonstigen Umlauf. Aus diesem Grund lässt das Vorhandensein oder das Fehlen von bestimmten Münzen eine genaue Datierung militärischer Ereignisse in der Übergangszeit zwischen Augustus und Tiberius nicht zu. Münzfunde, die im militärischen Zusammenhang stehen und örtlich und zeitlich mit Kalkriese vergleichbar sind, müssten energischer als bisher verglichen und publiziert werden, um festzustellen, genau welche Münztypen in welchem Umfang zum fraglichen Zeitpunkt in Germania inferior als Sold ausbezahlt wurden.

Die Münzfunde in Kalkriese sind kein stichhaltiger Beweis dafür, dass sich dort die clades variana ereignete. Statt diese Funde bei der äusserst problematischen Datierung der Münzen als endgültigen Beweis dafür zu verwenden, hätte man besser getan, auf einen unwiderlegbaren Fund zu warten. Dieser könnte irgendein Gegenstand, der dort die Anwesenheit von der XVII., XVIII. oder der XIX. Legion zweifelsfrei attestierte, sein.

As: Typus Lugdunum I, 10 v.Chr.-13/14 n.Chr.?

Av: CAESAR PONT MAX

As: Typus Lugdunum II, 10-14 n.Chr.

Av:  CAESAR AVGVSTVS DIVI F PATER PATRIAE

Denar: Typus Gaius/Lucius, 2 v.Chr.-13/14 n.Chr.

Av:  CAESAR AVGVSTVS DIVI F PATER PATRIAE

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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